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Günter Böhmer











Papiertheater

Hexe


Das Papiertheater ist ein Kind der Romantik. Bis an die Schwelle unserer Gegenwart hat es in keinem Bürgerhause gefehlt, ein liebenswertes Symbol des Familiensinns, dem viele Biographen ihre Reverenz erwiesen haben. Ein Posten Ausschneidebogen, Schere, Kleister und etwas Bastelgeschick genügten, um ein Papiertheater herzustellen, ein paar Stimmen und Hände, um seine Gestalten zu beseelen. Seine Grundidee ist bereits in den alten Guckkastendioramen enthalten, in deren tiefgestaffelten Bühnenräumen Martin Engelbrecht in Augsburg religiöses Geschehen und Bilder aus Sage und Geschichte in Szene setze. Die filigrane Pracht der reglosen Gruppen und Gestalten erfüllte aber erst das Papiertheater mit der Illusion des Lebens. Weil es mit bewegbaren Figuren operiert, die an Drähten und Stäben oder sogar mit Hilfe eines Magneten hin und her geschoben werden können, zählt das Papiertheater zu den vielfältigen Formen des Puppenspiels. Im Grunde hängt es jedoch eng mit dem Personentheater zusammen, das es - ganz im Gegensatz zu den Intentionen des Puppenspiels - so genau, so authentisch wie möglich nachzuahmen sucht. Der Terminus »Kindertheater«, dem die englische Bezeichnung »Juvenile Drama« entspricht, schränkt ganz zu Unrecht den Kreis seiner Liebhaber auf Kinder und junge Leute ein - in Wirklichkeit spiegelt es die unersättliche Lust an Spektakel und Bühne, die nach den Napoleonischen Kriegen alle Schichten des Alters und der Gesellschaft erfaßt hatte. Man ließ es nicht dabei bewenden, die Theater zu stürmen und seine eigenen vier Wände mit den Porträts beliebter Darsteller auszustaffieren, zur Schwärmerei für die vergötterten Idole gesellte sich allenthalben auch das Bedürfnis, selber Theater zu spielen.
Für die außerordentliche Verbreitung im 19.Jahrhundert fallen zwei besondere Voraussetzungen ins Gewicht: Die Verbürgerlichung des Theaters in der Romantik und das Aufkommen der Lithographie, eines schnellen, billigen Druckverfahrens, das die damals in ganz Europa aus dem Boden schießenden Verlage populärer Bilderbogen auch animierte, die Massenproduktion von Papiertheatern aufzunehmen. Wie groß der Bedarf an solchen Blättern war, bezeugt der bekannte Papiertheaterforscher Walter Röhler mit der Feststellung, daß nach dem immensen Erfolg des "Freischütz", der im Jahre 1821 in Berlin seine Uraufführung erlebte, nicht weniger als 16 Firmen 25 verschiedenen Figurenbogen zu dieser Oper herausbrachten. Die Hinterlassenschaft der Verlage Kühn und Oehmigke & Riemschneider in Neuruppin, Scholz in Mainz und Schreiber in Esslingen, Wentzel/Burckardt im elsässischen Weißenburg, Pellerin in Epinal, Trensensky in Wien und Jacobsen in Kopenhagen, um nur einige der bedeutendsten Häuser zu nennen, spiegelt nicht nur die Geschichte eines großen Theater-Jahrhunderts, sie gibt auch interessante Aufschlüsse über die Soziologie des Publikumsgeschmacks.
Abweichend vom kontinentalen Papiertheater wurden die englischen Ausschneidebogen, die unkolorierten "One penny plains" und die bunten "Twopence coloured", als Radierungen und in wesentlich kleinerem Format gedruckt. Das "Juvenile Drama" reicht, wie das deutsche Papiertheater, noch in das 18. Jahrhundert zurück, seine Blütezeit fällt jedoch in die victorianische Epoche.
Es erlangte große Popularität, als sich der Londoner Verleger West um 1810 entschloß zu den Ausschneidebogen auch die entsprechenden Texte mitzuliefern. Die bekanntesten Hersteller sind Webb, Redington, Skelt und vor allem Pollock gewesen. Sie überschwemmten England und die halbe Welt mit ihren spielzeughaft reizvollen Bogen.



Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der m+n-reprise, Hamburg



Kessel
 
     
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